Jean Sebastien Larro

@der_naturvermittler

Den Herbst riechen

Herbstliches Weinblatt im Gegenlicht

Eines Morgens riechst du den Herbst.
Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig;
es hat sich eigentlich gar nichts geändert –
und doch alles.

Es geht wie ein Knack durch die Luft –
es ist etwas geschehen;
so lange hat sich der Kubus noch gehalten,
er hat geschwankt … , na … na … ,
und nun ist er auf die andere Seite gefallen.

Kurt Tucholsky (aus "Die fünfte Jahreszeit", 1929)

Kennst du diesen Moment? Die Blätter sind noch grün, die Sonne wärmt – und trotzdem liegt etwas Neues in der Luft. Eine andere Qualität des Lichts vielleicht. Der Tau am Morgen, der länger bleibt. Ein Geruch, den du nicht benennen kannst, aber sofort erkennst.

Tucholsky nennt diese Zeit zwischen Spätsommer und Frühherbst die "fünfte Jahreszeit" – diese kurze, kostbare Spanne, in der die Natur auf der Schwelle steht. Äußerlich noch beim Alten, innerlich schon im Wandel.

Ich finde das gerade jetzt, wo der Klimawandel alles durcheinanderbringt, besonders interessant. Die Jahreszeiten verschieben sich, unsere gewohnten Rhythmen stimmen nicht mehr so richtig. Vielleicht wird genau deshalb dieser feine Moment des Übergangs wichtiger. Weil Veränderung eben nicht immer laut daherkommt. Manchmal ist sie nur ein Hauch. Ein Knack in der Luft. Eine Ahnung.

Wobei – ich bin mir nicht sicher, ob ich das nicht zu sehr auflade. Vielleicht war es auch einfach nur eine kühlere Brise, und ich romantisiere das Ganze. Keine Ahnung.

Aber dieses Bild vom Kubus, der kippt – das finde ich stark. So lange hat er sich noch gehalten, er hat geschwankt, und dann fällt er einfach auf die andere Seite. Nicht spektakulär. Einfach anders.

Was riechst du gerade, wenn du nach draußen gehst? Was fühlt sich anders an als noch vor einer Woche? Welcher Kubus schwankt in deinem Leben gerade? (Okay, das klingt jetzt vielleicht zu esoterisch. Aber die Frage meine ich ernst.)

Vielleicht ist genau das die Weisheit dieser fünften Jahreszeit. Zu spüren, wann es Zeit ist, auf die andere Seite zu fallen. Nicht zu früh, nicht zu spät. Einfach dann, wenn es so weit ist.

Oder auch nicht. Vielleicht ist es einfach nur der Herbst, der kommt. Wie jedes Jahr. Und ich bin der, der daraus eine Geschichte macht.

Jahreszeiten Achtsamkeit Wandel
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